Heute dreht es sich beim Trimagischen Turnier um Disney Bösewichte, Meisterwerke der Kunst und Figuren des Neuen Testaments. Zugelost wurden mir dabei Dschafar aus Aladdin, das Bild „Ecce Homo“ (1850) von Honoré Daumier und der Apostel Thomas. Verbunden werden sie durch das Element des „Zweifels“ und vor allem des „Zweifelns“. So muss Jesus in diesen Augenblicken auf dem Gemälde, in denen sein Tod beschlossen wird, die Spannung zwischen seiner Göttlichkeit und seiner Menschlichkeit scheinbar aushalten, er liefert sich den Menschen völlig aus, von denen er weiß, dass sie nicht wissen, was sie tun. Dass der Apostel Thomas ein Zweifler war, ist eine ohnehin bekannte Geschichte. Und Dschafar? Er bringt einem ganzen Reich ausschließlich Verzweiflung.
Siehe, der Mensch?
Im Johannesevangelium heißt es: „ἰδοὺ ὁ ἄνθρωπος“, „ecce homo“, „seht, der Mensch“. Pontius Pilatus führt in der besonders bekannten Szene in Joh 19, 4-6 dem versammelten Volk den gefolterten und mit einer Dornenkrone ausstaffierten Jesus Christus vor, dem der Tod am Kreuz droht. Dies ist die Grundlage einer ganzen Reihe von Kunstwerken, die die Rollen der beteiligten Figuren und das Setting je neu auslegen. Daumier, ein französischer Maler, Bildhauer und Karikaturist, der sich mit öffentlichkeitswirksamen Themen wie Politik und Sozialkritik im 19. Jahrhundert in den Zeitungen auseinandersetzte, interpretierte die Bibelstelle mit einer starken Betonung ihres Gerichtscharakters. Mehr Informationen zu dem Gemälde gibt es im Übrigen hier, zu sehen ist es im Folkwang Museum in Essen.
4 Pilatus ging wieder hinaus und sagte zu ihnen: Seht, ich bringe ihn zu euch heraus; ihr sollt wissen, dass ich keine Schuld an ihm finde. 5 Jesus kam heraus; er trug die Dornenkrone und den purpurroten Mantel. Pilatus sagte zu ihnen: Seht, der Mensch! 6 Als die Hohepriester und die Diener ihn sahen, schrien sie: Kreuzige ihn, kreuzige ihn! Pilatus sagte zu ihnen: Nehmt ihr ihn und kreuzigt ihn! Denn ich finde keine Schuld an ihm.
Joh 19,4-6 in der EÜ
Daumiers Bild zeigt einen Jesus, der erhöht über einer Menschenmenge aufragt, die völlig außer sich ist. Er selbst steht aufrecht, wirkt geradezu entrückt in der Chaotik der Szenerie. Pilatus versucht den Menschen klarzumachen, dass er nichts feststellen kann, dass den Tod des vor ihm stehenden Mannes rechtfertigen würde. Des Mannes, der keinen Hehl daraus macht, wer er ist. Und doch scheint das Volk an ihm zu zweifeln, trotz allem, was er getan hat.
Wenn also in dieser Szene Zweifel eine Rolle spielen, ist es dann der Zweifel an der Göttlichkeit Jesu, oder nicht viel eher der an der Menschlichkeit der Menschen? Sie verlangen ein Leben, sind sogar bereit, einem Mörder die Freiheit zu schenken, nur um den (aus ihrer Sicht „angeblichen“) Sohn Gottes leiden zu sehen. Und Pilatus gibt dem Volk seinen Willen. Wie frei er in dieser Entscheidung war, sei in dieser Situation dahingestellt. Auch er will und darf das Volk nicht gegen sich und damit die Regierung und Struktur der Region aufbringen. Und so wird das Leben Jesu geopfert.
Ein Apostel mit einem einschneidenden Ruf
Den Apostel mit dem Namen Thomas kennen wir vor allem aus einem bestimmten Zusammenhang: Er ist der Zweifler, er ist derjenige, der sehen muss, um zu glauben. Im Folgenden möchte ich auf drei Szenen kurz eingehen.
Die erste der aus meiner Sicht bemerkenswerten Szenen finden wir in Joh 14,3-6. Jesu Worte, „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“, haben kaum vergleichbare Bekanntheit erlangt. Und doch möchte ich an dieser Stelle auf einen anderen Satz hinaus:
3 Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. 4 Und wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr. 5 Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen? 6 Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.
Joh 14,3-6 in der EÜ
Mir geht es um das, was Thomas sagt. In der Erzählung vom letzten Abendmahl setzt sich Jesus mit der Zukunft auseinander. Er weiß um seinen drohenden Tod, dass er zu seinem Vater zurückkehren wird, aber auch dass er noch einmal die Gelegenheit erhalten wird, mit seinen Jünger*innen zu sprechen, sie darauf vorzubereiten, sie zu sich zu holen. Er sagt, dass sie bereits wüssten, was sie tun müssen, um ihm an diesen eschatologischen Ort zu folgen. Thomas bezweifelt das. Er zweifelt an sich, an den Menschen allgemein womöglich, dass sie verstehen würden, was der Weg ist, doch Jesus zeigt es ihm: Er ist der Weg.
Die zweite Szene, die mir wichtig ist, ist die wohl Bekannteste: Thomas, der die Wunden Jesu sehen muss, um zu glauben, dass er tatsächlich auferstanden ist. Hierdurch bekam er von der Geschichte den Titel „ungläubiger Thomas“ verliehen.
24 Thomas, der Didymus genannt wurde, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.
Joh 20,24f. in der EÜ
Viele Theolog*innen und Philosoph*innen sprechen von einem metaphysischen Sprung in den Glauben, den man wagen müsste. Thomas findet sich an einer ganz ähnlichen Klippe wieder. Lange kannte er Jesus, ist mit ihm gereist, hat Wunder gesehen, gehört wie Jesus predigte und sagte, dass er sterben und wiederkommen würde. Doch jetzt, da es soweit ist, zögert er. Wenn er die Auferstehung annimmt, würde es alles auf den Kopf stellen. Alles, was man glaubte zu wissen. Anders als wir heute hat Thomas allerdings tatsächlich die Möglichkeit erhalten, die Wunden zu sehen, die bestätigen, was die anderen Jünger*innen ihm erzählt haben. Wir Menschen sind neugierig, stellen Fragen, wollen erforschen und hinterfragen. In der Metaphysik sind die Fragen allerdings nicht so leicht zu beantworten. Ist es daher nicht vor allem eines – menschlich – dass Thomas zögert? Können wir ihn dafür wirklich verurteilen?
In der dritten Szene (Joh 11,1-16), die chronologisch vor der zuvor beschriebenen Szene stattfindet, geht es darum, dass Lazarus gestorben war. Jesus möchte sich daher auf den Weg nach Betanien machen, wo Lazarus‘ Schwestern lebten und er begraben worden war. Doch sein Vorhaben ist gefährlich, denn kehrt er nach Judäa zurück, droht ihm große Gefahr von aufgebrachten Menschen. Er besiegelte dadurch sozusagen seinen Untergang.
16 Da sagte Thomas, genannt Didymus, zu den anderen Jüngern: Lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben!
Joh 11,16 in der EÜ
Klingt das nach Zweifeln? Ich denke nicht. Weder zweifelt er an der Gefahr, noch an Jesus selbst, seiner Relevanz, seinen Möglichkeiten in dieser Situation etwas auszurichten. Er folgt ihm ohne zu zögern und animiert noch die anderen Jünger*innen, ihm zu folgen. Soll heißen: Thomas zweifelt an sich, zweifelt sogar an der Auferstehung Jesu, da sie so unglaublich scheint, jedoch nicht daran, dass der Weg Jesu es wert ist, dafür zu sterben. Denen zu helfen, denen niemand sonst mehr helfen zu können scheint.
Macht um jeden Preis
In den Disney-Meisterwerken gibt es zwei verschiedene Arten von Bösewichten: Jene, die ihre bösen Machenschaften auf eine bestimmte Person konzentrieren, um sie ins Unglück zu stürzen (wie etwa die böse Königin oder Gaston) und jene, die nicht davor zurückschrecken, ein ganzes Volk zu versklaven oder auszulöschen auf der Suche nach Macht o.Ä. Ihre Motive sind nicht (ausschließlich) persönlicher Natur, sondern dienen der Verwirklichung ihrer Wünsche um jeden Preis. Zu diesen Bösewichten gehört auch Dschafar.
Es gibt viele Hinweise darauf, wie wenig Dschafar an Menschenleben liegt. Er schickt Leute in die Wunderhöhle, wohl wissend, dass die Chance real und groß ist, dass sie sterben würden. Er manipuliert den Sultan mittels Magie schamlos zugunsten seiner eigenen Pläne. Er versucht Aladdin zu ermorden. Er will Jasmin gegen ihren Willen zwingen, ihn zu heiraten. Doch das ist nur das Leid, von dem wir wissen, dass er es Menschen antut. Das Leid, das wir im Film beobachten können. Doch was sehen wir alles nicht?
Als Dschafar sich wünscht, Sultan zu werden, verändert sich das ganze Reich. Besonders demonstrativ hervorgehoben wird dies in der Realverfilmung von 2019. Welche Ängste muss das Volk ausgestanden haben, während das geschah? Die vielen Menschen, die wir vor allem zu Beginn des Filmes gesehen haben? Im Gegensatz zu den Protagonist*innen konnten sie ja nicht einmal wissen, was für Magie im Spiel war! Sie sahen nur, wie ihre Welt sich plötzlich verdunkelte (oder noch dunkler wurde als zuvor schon). Ihnen blieb nur die Verzweiflung im Angesicht des Bösen, gegen das sie machtlos waren. Sogar unser im Endeffekt ruhmreicher Held Aladdin zweifelte an sich und einem guten Ende, als ihm klar wurde, wogegen er ankämpfen musste. Nur der Beistand seiner Freunde vermochte es am Ende, ihm Hoffnung zu schenken.
Vielleicht ist es ja sogar das Fehlen jeglichen Zweifels gewesen, das Dschafar schließlich in die Knie zwang. Er hatte nicht eine Sekunde an seiner Überlegenheit gezweifelt und seine Arroganz ließ ihn in die Falle tappen, die Aladdin und Dschinni ihm gestellt hatten. Sein Wunsch nach Macht schuf ihm ein eigenes Gefängnis, dem er nicht entkommen kann.
Vielleicht ist Zweifel am Ende ja gar nichts allzu Schreckliches? Der Zweifel ermöglicht es uns vielleicht gerade erst, unser Handeln zu reflektieren, zu lernen, es besser zu machen als zuvor. Er macht uns dann gewissermaßen stärker.