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Warum Hauptcharaktere sterben – oder: die Wiederentdeckung der Selbstaufopferung

Spoiler-Alarm!

In diesem Artikel soll es um die Tode einiger Haupcharaktere gehen. Einige starke Spoiler zu Marvel’s Iron Man, Avengers: Infinity War und Endgame, Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Macht, VIII: Die letzten Jedi und IX: Der Aufstieg Skywalkers, sowie Logan – The Wolverine, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, der Herr der Ringe und dem Musical Hamilton sind daher leider unumgänglich!

Wenn ich an meine letzten Kinobesuche zurückdenke, kommen mir viele aufregende, spannende und aufwendige Produktionen in den Kopf. Kein Problem, keine Bedrohung (z.B. die Auslöschung der Hälfte allen Lebens?!) ist so groß, als dass sich die Leinwandheld*innen dem nicht stellen würden und müssten. Ein Element, ein bestimmtes Motiv, taucht im Moment – meiner Empfindung nach – dabei sehr oft auf: wichtige Charaktere sterben. Allerdings werden sie nicht einfach von einem Bösewicht getötet, nein, sie opfern sich selbst, um das Böse zu besiegen und den Tag zu retten. Um (Menschen-)Leben zu retten.

Photo by Nick Bolton on Unsplash

Traurige Abschiede

Ein besonders bekanntes Beispiel für Filme, bei denen wir von einigen Charakteren schmerzlich Abschied nehmen müssen, sollten Marvel’s Avengers: Infinity War und Endgame sein. Über Jahre (!) konnten wir miterleben wie aus Menschen Held*innen wurden. Wie ein arroganter Waffenproduzent zum Beschützer wurde. Wie ein junger, dünner Typ voller Tatendrang zum Supersoldaten wurde, dessen einzige Mission es war, Gerechtigkeit zu garantieren und für die Schwachen einzustehen. Wie aus einer rücksichtslosen und knallharten Agentin die Stimme der Vernunft in einer Gruppe voller Kämpfer*innen wurde. Wie aus einer körperlosen K.I. , die in einigen der anderen Filme zu hören war, ein vielschichtiger Mann und Protagonist wurde, der gelernt hat, zu lieben. Wie aus einem großspurigen Gott ein Wächter für die Menschheit wurde. Wie ein Mann, der ein Monster wurde, gelernt hat, alles an sich, jedes Makel, zu akzeptieren und so viel stärker wurde. Wie aus der Ziehtochter eines Bösewichts seine erbittertste Feindin wurde. Und so vieles mehr…

Einige von ihnen waren am Ende des letzten Filmes (Marvel’s Avengers: Endgame) tot. Ihr Opfer war unumgänglich gewesen, um die zu schützen, die ihnen am Herzen liegen und noch viele andere. Sie retteten die Hälfte allen Lebens in der Galaxis. Sie kämpften, um diese Leben zu beschützen und schreckten nicht davor zurück, alles – sogar ihr Leben – dafür aufzugeben.

Auf eine dieser Figuren möchte ich näher eingehen – auf Tony Stark/ Iron Man. Zu Beginn des ersten Films von 2008 lernen wir ihn als arroganten, großspurigen und unausstehlichen Waffenproduzenten kennen, der seine Produkte gut beschützt in Afghanistan bewirbt. Als sein Konvoi von Terrorist*innen überfallen wird, die seine eigenen Waffen gegen ihn einsetzen, wird er verletzt (Metallsplitter stecken in seiner Brust) und entführt. Die Terrorist*innen wollen, dass er seine stärkste Waffe für sie nachbaut. Nun kommt seine Genialität stärker zum Vorschein: Obwohl er den Anschein erweckt, er würde diese Waffe bauen, entwickelt er zunächst ein Gerät, welches die Splitter von seinem Herzen fernhält und dann einen metallenen Anzug, der ihm helfen sollte, sich selbst (und einen Mitgefangenen) zu retten. Der Mitgefangene überlebt die Flucht nicht, Tony schon. Wieder in New York entwickelt er seinen Anzug weiter und hilft damit die Terrorist*innen aufzuhalten und denjenigen, der die Waffen an sie verkauft hatte.

Als einer der ersten Superheld*innen wird er zum Symbolbild der Hoffnung für diejenigen, die er beschützte. So fand er letztendlich auch zu Pepper Potts, seiner ehemaligen Assistentin und späteren Geschäftsführerin, während er weiter für das Gute kämpfte. In den nächsten Jahren warteten dann eine ganze Reihe von Feind*innen darauf, von ihm besiegt zu werden. Doch keine*r sollte so gefährlich sein wie der beinahe unbesiegbare und unsterbliche Thanos.

Thanos‘ Ziel war es, die Galaxis vor einer Überbevölkerung zu bewahren, diese war bereits für die Vernichtung seiner eigenen Welt verantwortlich gewesen. Dazu wollte er alle Infinity-Steine sammeln, mit deren Macht er in der Lage sein würde, mit einem Fingerschnipsen die Hälfte aller Lebewesen in der Galaxis schlichtweg verschwinden zu lassen. Um es kurz zu halten: Es gelingt ihm trotz der Bemühungen der Avengers. Die Hälfte allen Lebens wird ausgelöscht, auch einige der Held*innen, z.B. auch Peter (Spider-Man), für den Tony Stark zu so etwas wie einem Ziehvater geworden war. Die Verluste sind erdrückend: Mütter, Väter, Kinder… für Thanos war es egal gewesen, wessen Leben er forderte. Um an den letzten Inifinity-Stein zu gelangen, hatte er sogar höchstpersönlich das Leben seiner geliebten Tochter geopfert. Als er sein Ziel erreicht hatte, zog er sich zurück.

Die Verluste waren kaum zu ertragen. Erst später sollte sich eine neue Chance ergeben, dieses Unrecht rückgängig zu machen. Eine Energiesignatur der Steine ruft die verbliebenen Avengers wieder auf den Plan. So finden sie Thanos auf einem abgelegenen Planeten und besiegen ihn mit Leichtigkeit. Die Nutzung der Steine hatte ihn ohnehin schon fast umgebracht. Sie finden heraus, dass die Energiesignatur daher rührte, dass er die Steine vernichtet hatte, damit die Dezimierung des Universums niemals rückgängig gemacht werden könnte.

Fünf Jahre vergehen. Die Hoffnung schwindet und die Avengers beschäftigen sich größtenteils nur noch mit ihren Einzelschicksalen, so auch Tony, der sich nach den Geschehnissen mit Pepper ein zurückgezogenes Leben aufgebaut und eine Tochter bekommen hatte.

Derweil wird Scott (Ant-Man) durch einen glücklichen Zufall aus dem Quantenraum, in dem er feststeckte, befreit. Für ihn waren dort nur fünf Minuten – und nicht Jahre – vergangen und er wittert schließlich die Chance, durch diese Entdeckung die Ereignisse vielleicht doch verändern zu können. Die Idee ist eine Zeitreise.

Steve (Captain America) und Natasha (Black Widow) bitten daher Tony um Hilfe, er ist der Einzige, der genial genug ist, um so etwas zu Stande zu bringen. Er weigert sich zunächst – er hält es für eine falsche Hoffnung, außerdem wollte er durch die Manipulation der Zeit nicht das verlieren, was er seit Thanos gewonnen hatte, nämlich seine Tochter – stellt aber doch ein paar Berechnungen an, um dann zu erkennen, dass es möglich ist. Man könnte durch die Zeit reisen, die Steine aus der Vergangenheit holen und durch ein erneutes Fingerschnipsen, diejenigen, die damals verschwunden waren, zurückholen. So beginnt die Suche nach den Steinen in der Vergangenheit – und sie fordert Natashas Leben. Als alle Steine beisammen sind, nutzt Bruce (Hulk) die Steine, um alle zurückzuholen. Er wird dabei verletzt, überlebt jedoch aufgrund seiner veränderten Physiologie. Leider ist dies jedoch nicht das „Happy End“.

Thanos hatte nämlich eine Spionin bei den Avengers eingeschleust. Diese nutzt nun die Technologie, um Thanos und seine Streitkräfte aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen, die die Steine an sich reißen. Es kommt zum finalen Showdown und Kampf um die Infinity-Steine. Thanos hat vor, seine Tat zu wiederholen und darüber hinaus alle Erinnerungen daran zu löschen, damit nie wieder jemand versuchen könnte, es rückgängig zu machen. Es bricht ein erbitterter Kampf aus. Am Ende gelangt Tony in den Besitz der Steine. Und er ergreift die einzige Chance, alle zu retten. Er selbst nutzt die Macht der Steine und schnippst mit den Fingern – Thanos und seine Truppen verschwinden. Der Kampf ist gewonnen, doch fordert der Sieg seinen Tribut: Tony erliegt im Angesicht von Pepper, Peter und den anderen seinen Verletzungen. Sein Leben für das der Hälfte aller Lebewesen.

Doch Iron Man, Black Widow (und Vision) sind nicht die einzigen Held*innen, die ihr Leben für das Gute gaben. Zuletzt mussten wir uns von einer ganzen Reihe von Figuren verabschieden, die durch die Selbstaufopferung ihr Ende fanden.

Ich möchte daher auch auf Star Wars eingehen, wo wir insbesondere in der letzten Zeit einiges zu verkraften hatten. In der neuesten Trilogie starb zunächst Han Solo bei dem Versuch, seinen Sohn vor der dunklen Seite der Macht zu retten – dieser Moment hatte erst später großen Einfluss auf Ben. Dann starb Luke Skywalker als er seine ganze Macht nutzte, um die Rebellion zu schützen. Auch Leia opferte alles in diesem Kampf. Sogar Ben Solo gab schlussendlich sein Leben für das Gute (und für seine Geliebte) wie es einst Anakin Skywalker für seinen Sohn tat.

Bei Ben ist es allerdings umstritten, ob er tatsächlich einen Heldentod stirbt, bzw.: ob er ein Held war. Ich bin jedoch definitiv dafür, vor allem wenn man Anakin auch als Helden sieht (warum er einer ist, erkläre ich hier). Werfen wir also einen Blick in seine Geschichte. Ben Solo ist der Sohn von Han Solo und Leia Skywalker. Als Junge wird er in den neu aufgebauten Jedi-Tempel seines Onkels geschickt, um trainiert zu werden. Snoke, der Oberste Anführer der erstarkenden Ersten Ordnung, welche aus dem Imperium erwachsen ist, wird auf Ben aufmerksam und versucht ihn zur dunklen Seite zu verführen. Luke spürt die wachsende Dunkelheit seines Neffen und überlegt eines Nachts ihn aus Angst in seiner Schlafkammer zu ermorden. Zwar besinnt er sich im letzten Moment eines Besseren, doch Ben fühlt sich hintergangen und insbesondere verängstigt und bringt die Decke zum Einsturz. In dem Glauben, Luke sei tot, tötet er alle Padawane, die er nicht ebenfalls auf die dunkle Seite ziehen kann und vernichtet den Tempel. In den Folgejahren wird er von Snoke zu einem Sith ausgebildet.

Irgendwann wird Ben – bekannt unter dem Namen Kylo Ren – damit beauftragt, Luke Skywalker ausfindig zu machen. Er ist allerdings nicht als Einziger in der Galaxis auf der Suche nach ihm, denn auch Rey und die neue Rebellion hoffen auf Luke. Kylo Ren gelingt es schließlich, Rey gefangen zu nehmen, da sie im Besitz einer Karte war, die zu Luke führte. Durch die Macht versucht er, in ihren Gedanken zu finden, was er braucht, doch sie kann ihm widerstehen. Daraufhin sollte Ren Rey zu seinem Meister bringen, damit er sie zur dunklen Seite bekehren könnte. Finn, Chewbacca und Han Solo versuchen derweil Rey zu retten, was ihnen gelingt. Dabei entdeckt Han seinen Sohn – und versucht zu ihm durchzudringen, ihn zurückzuholen. Ren fragt, ob sein Vater ihm seine Taten vergeben könnte. Der bejaht dies. Dennoch tötet Ren Han mit seinem Lichtschwert. Ein letztes Mal streicht dieser über das Gesicht seines Sohnes.

Natürlich ist Snoke enttäuscht von seinem Schüler. Allerdings stellt er fest, dass Kylo Ren und Rey durch so etwas wie eine gedankliche Brücke der Macht miteinander verbunden sind, durch die sie kommunizieren konnten. Obwohl Rey anfangs deswegen noch sehr skeptisch gewesen war, akzeptierte sie ihre Verbindung jedoch und entscheidet sich, Ren zu vertrauen. Dieser erzählt ihr seine Geschichte mit Luke aus seiner Sicht und sagt ihr, dass Luke ihn töten wollte. Währenddessen hat Rey Luke endlich gefunden, der ihr erzählt, dass er sich im letzten Augenblick dagegen entschieden hat, Ben zu töten. Allerdings weigert er sich, für den Widerstand zu kämpfen.

Rey macht sich allein auf den Weg zu Kylo Ren/ Ben und lässt sich von ihm gefangennehmen und Snoke vorführen. Der demonstriert ihr seine Macht und will sie bekehren – sie lässt das jedoch nicht zu, appelliert an Ben. Als Snoke merkt, dass er es nicht schaffen würde, trägt er Kylo Ren auf, Rey zu töten. Der tötet stattdessen Snoke. Gemeinsam bekämpfen und besiegen sie seine Wachen. Doch noch hat das Gute in Ben nicht gewonnen – sie kämpfen um Lukes altes Lichtschwert. Es zerbricht. Die Rebellen kommen, um Rey zu retten, dabei wird Ren ohnmächtig. Als später andere Mitglieder der ersten Ordnung am Ort der Geschehnisse ankommen, ist Rey fort und er gibt an, sie wäre diejenige gewesen, die Snoke tötete. Nun ist er der Oberste Anführer der Ersten Ordnung und greift den Widerstand an, Luke rettet diesen jedoch.

Anschließend macht sich Ren wieder auf die Suche nach Rey, nutzt dafür die Machtverbindung und findet sie im Wrack des zweiten Todessterns. Es kommt zu einem Duell, bei dem sich Leia durch die Macht mit ihrem Sohn verbindet. Dieser ist dadurch abgelenkt, sodass Rey ihn verletzen kann. Bevor sie flieht, heilt sie ihn. Ben bleibt zurück. Plötzlich hat er eine Vision von seinem Vater. Erschrocken wirft er sein Lichtschwert ins Wasser.

Rey findet schließlich Palpatines Thronsaal auf Exegol. Ben schleicht sich ebenfalls dort ein, wird aber von den Rittern des Ren, die einst ihm folgten, entdeckt. Unbewaffnet muss er sie bekämpfen. Rey bekommt dies mit und teleportiert ihr Lichtschwert zu ihm, sodass er siegreich aus dem Kampf hervorgeht. Gemeinsam treten Rey und Ben gegen Palpatine an. Dieser entzieht ihnen allerdings ihre Lebensenergie, sie brechen zusammen. Ben allerdings schafft es, sich aufzurichten, doch der Imperator schleudert ihn einen Abgrund hinunter. Rey schafft es in diesem Moment Palpatine zu besiegen, bricht aber tot zusammen. Ben hatte sich verletzt an der Kante des Abgrundes festhalten können und kriecht nun zu ihr. So, wie Rey einst ihn heilte, holt er nun sie ins Leben zurück, doch der Preis ist hoch. Als Rey zu sich kommt, küssen sie sich, aber anschließend bricht Ben – nun endlich in diesem Moment glücklich – zusammen. Er gab sein Leben für ihres und wird eins mit der Macht. Für mich ist er auf jeden Fall ein Held.

Photo by chester wade on Unsplash

Aber wie bereits erwähnt, es gibt noch weitaus mehr Beispiele für Held*innen, die sich opferten. Auch die X-Men-Filme kommen nicht ohne Selbstaufopferung aus, man denke nur an Logan (und er ist nicht der Einzige). Ein etwas älteres Beispiel zwar, aber auch Harry Potter war bereit zu sterben – er allerdings ist damals noch wiederbelebt worden. Ebenso Gandalf. In Doctor Who gibt der Doktor immer wieder sein Leben für andere, er regeneriert zwar – stirbt also nicht im eigentlichen Sinne – opfert aber die Person, die er in diesem Leben war.

Allgemein scheint es, dass spätestens seit George R. R. Martin und der Adaption seiner ohnehin schon erfolgreichen Bücher als Serie (gemeint ist natürlich „Game of Thrones“), der endgültige Tod von Protagonist*innen kein Tabu mehr ist. Ein „Happy End“ für alle ist längst kein Muss mehr. Stattdessen werden diese Menschen ein wenig von ihrem Podest herunter genommen, sie können sterben wie alle anderen. Doch ihre Ehre und ihr Edelmut machen sie zu Vorbildern von nie dagewesener Größe, so traurig die Abschiede auch sind.

Warum lässt man Protagonist*innen sterben?

Aber es erschien mir, als ob mir noch etwas fehlt, um wirklich zu verstehen, warum zuletzt so viele Held*innen ihr Leben geben mussten, um jemanden oder auch alle zu retten. Als ich mir eines meiner liebsten Musicals wiederholt anhörte, stach dann für mich ein Satz hervor:

„If you stand for nothing [Burr], what do you fall for?“

Alexander Hamilton im Musical „Hamilton“ von Lin-Manuel Miranda. (Song: „Burr, Sir“)

Könnte es daran liegen? Haben wir im 21. Jahrhundert die Suche nach einem Sinn im Leben auf eine wahrlich dramatische Art und Weise wiederentdeckt?

In einer Welt, die so groß und kompliziert ist wie unsere, in der einige von uns das Glück haben in privilegierten Umständen geboren zu werden, in einem fortschrittlichen und größtenteils friedlichen Land wie Deutschland, scheint es manchmal schwer etwas zu finden, wofür man (mit seinem Leben?) kämpfen soll. Wir verhungern nicht. Wir sind frei. Uns geht es gut. Heißt das möglicherweise, dass wir auch nicht mehr wissen, wofür wir kämpfen sollen? Gibt es keine echte Leidenschaft für ein bestimmtes Anliegen mehr?

Es kann kein Zufall sein, dass gerade „Hamilton“ sich seit seiner Uraufführung allergrößter Beliebtheit erfreut, gerade bei jungen Erwachsenen. Wer Kenntnis von der Geschichte der USA besitzt, wird nicht überrascht sein, dass der Protagonist das Ende des Musicals nicht miterlebt. Er wird von Aaron Burr bei einem Duell erschossen. Lin-Manuel Miranda verleiht der Geschichte jedoch neue Relevanz und Bedeutsamkeit. Der Name „Alexander Hamilton“ gehört nicht länger nur in Geschichtsbücher, sondern auch in die Popkultur. Zu diesem Punkt konnte man allerdings nicht nur gelangen, weil die Musik so großartig ist, sondern auch weil Alexander Hamilton das ist, wonach wir immer und überall suchen: Ein Mann mit Idealen, nicht ohne Fehler zwar, aber jemand, der für etwas einsteht.

Die Story des Musicals beginnt mit der Jugend Hamiltons. Sein Vater war ein Schotte gewesen, der die Familie jedoch verließ, seine Mutter war eine Geächtete wegen ihrer unehelichen Beziehung, sie starb an einer Krankheit als Alexander jung war. Danach lebte Hamilton in seiner Kindheit größtenteils allein in der Karibik, er fiel allerdings durch seinen scharfen Verstand auf. Schließlich wurde er in die Vereinigten Staaten geschickt, um dort zu studieren. In New York traf er dann erstmals Aaron Burr, den er bewunderte, da er ein Waise war wie er und ebenfalls wegen seiner Intellektualität auffiel. Burr war von Hamilton allerdings nicht besonders eingenommen, da Letzterer vor allem dafür bekannt war, sein Herz auf der Zunge zu tragen und ein gewisses Maß an Arroganz an den Tag zu legen. Burr gibt ihm daher einen Rat, weist ihn in seine eigene Philosophie ein:

„Talk less. Smile more! Don’t let them know what you’re against or what you’re for […]. Fools who run their mouths off wind up dead.“

Aaron Burr zu Alexander Hamilton im Song: „Burr, Sir“.

Für Hamilton ist das undenkbar. Wie sollte man jemals etwas bewegen, wenn man nicht zu seinen Idealen steht? Burr machte sich durch seine Angst quasi selbst handlungsunfähig und verlor dadurch den Respekt Hamiltons. Im Laufe der Zeit wurden sie zu Rivalen. Während Burr sich im Hintergund hielt, suchte Hamilton sich gleichgesinnte Freunde und wurde während der amerikanischen Revolution zum Vertrauten George Washingtons. Er heiratete Eliza Schuyler, die aus einem wohlhabenden Haus stammte. Aus Burrs Sicht fiel ihm das Glück sozusagen in den Schoß. Alexander Hamilton wurde schließlich nach dem Krieg der erste Finanzminister der Vereinigten Staaten und integrierte ein eigens erdachtes Finanzsystem. Dann beging er jedoch einen folgenschweren Fehler: Er betrügt Eliza mit einer anderen Frau, die, wie sich später herausstellt, ihn verführte, um ihn anschließend zu erpressen. Burr erfährt von diesem Geheimnis und droht es publik zu machen, Hamilton jedoch kommt ihm zuvor, veröffentlicht seine Affäre selbst, damit jede*r weiß, dass seine Verfehlung privater Natur war und er nie Staatsgelder für seine eigenen Zwecke missbrauchte. So war allerdings auch klar, dass Hamilton niemals Präsident werden würde.

Die nächste Tragödie lässt nicht lange auf sich warten: Hamiltons ältester Sohn, Philip, wird in ein Duell verwickelt, um den Ruf seines Vaters zu schützen. Sein Vater rät ihm noch, selbst bewusst nur in die Luft zu schießen (was nicht unüblich war, bei den wenigsten Duellen gab es tatsächlich Opfer zu dieser Zeit), um den Konflikt zu beenden. Sein Kontrahent allerdings schießt auf ihn. Philip stirbt in den Armen seiner Eltern. Die Trauer vernichtet beide beinahe, führt sie schließlich jedoch wieder zusammen.

Wenige Jahre später bringt sich Burr plötzlich aktiv in die Politik ein, mit einer eigenen Partei. Bei der Präsidentschaftswahl 1800 sind er und Thomas Jefferson Spitzenkandidaten. Ganz Amerika scheint zu wissen, dass beide keine idealen Kandidaten sind, daher wendet man sich an Hamilton, dessen Stimme immer noch anerkannt war, immerhin war er selbst unter George Washington ein bedeutender Politiker, der immer das Beste für sein Land wollte. Hamilton positioniert sich öffentlich zugunsten von Jefferson:

„The people are asking to hear my voice for the country is facing a difficult choice. And if you were to ask me who I’d promote… Jefferson has my vote. I have never agreed with Jefferson once. We have fought on like 75 different fronts, but when all is said and all is done, Jefferson has beliefs. Burr has none.“

Alexander Hamilton als er um eine Positionierung im Wahlkampf zwischen Burr und Jefferson gebeten wurde. Seine Stimme ist ausschlaggebend. (Song: „The Election of 1800“)

Der Konflikt zwischen Burr und Hamilton eskaliert. Politisch gesehen hatte Hamilton mit seinem Statement Burr vernichtet. Burr fordert daher Satisfaktion, ein Duell. Dieses Duell fand (auch in der Realität) beinahe an der gleichen Stelle statt, an der Philip starb. Hamilton steht zu dem, was er seinem Sohn riet, obwohl er sich der möglichen Konsequenzen sehr bewusst war: Er schießt in die Luft. Burr jedoch, aus Angst vor dem, was Hamilton tun würde, schießt auf seinen Kontrahenten. Hamilton stirbt. Doch sein Erbe lebt weiter, sein Finanzsystem überdauert und Eliza engagiert sich Zeit ihres Leben weiter im Namen ihres Mannes in Politik und Gesellschaft.

Am Ende starb Alexander Hamilton nicht wegen seiner Ideale, sondern für seine Ideale. Er steht zu seinem Wort. Und deswegen starb er auch für die Welt, für die Ehre, deswegen ist er ein Held – er ist davon überzeugt, dass Menschen zu ihrem Wort stehen müssen, damit die Welt funktioniert, damit es Frieden geben kann. Er wäre auch für die Revolution gestorben, um die Vereinigten Staaten zu befreien, doch den Krieg überlebte er, sodass er anschließend die Chance hatte, die neue Nation zu formen, um ein gerechtes System zu schaffen. Und deswegen hätte er Burr niemals unterstützen können – er stand für überhaupt nichts ein, weder für die Revolution, noch für die Verfassung, noch für irgendetwas anderes.

Vor diesem Hintergrund ergibt Hamiltons Tod Sinn – was ihn allerdings nicht weniger traurig macht. Ich möchte daher nochmal auf das anfängliche Zitat zurückkommen: „If you stand for nothing, Burr, what do you fall for?“ Könnte es so einfach sein? Könnten die ganzen Tode uns nur stärker denn je vor Augen führen, dass diese Figuren für etwas unbedingt gekämpft haben? Die Superheld*innen versprachen, die Welt zu schützen und das taten sie. Es war ihr Ideal, die zu schützen, die selbst nicht mächtig genug waren. Hamiltons Ideale waren Ehrlichkeit und Ehrbarkeit für eine bessere Welt. Bis hin zur letzten Konsequenz. Es könnte mich fast neidisch machen, dass diese Menschen etwas gefunden haben, wofür sie realistisch kämpfen konnten und etwas bewirkten – sogar global gesehen… dass sie allerdings sterben mussten, darauf bin ich überhaupt nicht neidisch. Doch darauf möchte ich später noch einmal eingehen.

Photo by Brittney Burnett on Unsplash

Und obwohl das Opfer-Motiv im Moment sehr beliebt zu sein scheint, ist es keineswegs neu. Nein. Es gibt sogar ein Beispiel, das wohl jeder Mensch auf der ganzen Welt kennt. Diese Geschichte ist bereits 2000 Jahre alt und steht im Buch der Bücher: der Bibel.

Das unüberbietbare Opfer

Das Opfer dieses einen Menschen ist sogar noch bedeutender und wichtiger als das jedes*jeder anderen Helden*Heldin. Jesus Christus und seine Selbstaufopferung sind sogar noch gewaltiger und fantastischer als die von Iron Man, Ben Solo oder Hamilton. Sein Tod rettete mehr als nur schlicht alle Leben, die jemals gelebt wurden und werden, er rettete ihre Seelen, unsere Seelen. Das schlimmste, was wir hätten tun können, wurde uns dadurch vergeben… Und wir glauben daran, dass das wahr ist.

„Wenn es brennt, ist eine echte Feuerwehr sogar noch besser als eine erdachte Feuerwehr, auch wenn die schon eine echt gute Idee ist.“

Einer meiner Dozenten (so oder so ähnlich) bei dem Versuch, den Gottesbeweis nach Anselm von Canterbury zu erklären.

Wenn man also wirklich daran glaubt, dass dieses Opfer Jesu keine reine Fiktion ist, dass er tatsächlich für jede*n Einzelne*n von uns starb, um uns zu retten, unsere unsterblichen Seelen, ist das Gefühl überwältigend. Das Wissen, dass da draußen jemand ist, der uns so sehr liebt… unbeschreiblich. Die Art wie er sein Leben lebte, wie er sich stets um die sorgte, für die sonst niemand anderes auch nur ein Lächeln übrig hatte – allein das macht Jesus schon zu einem Helden. Einem Helden, der es wert ist, dass man ihm nachfolgt. Und er starb wie er lebte – selbstlos. Und selbst wenn man nicht an all das glauben sollte, ist es eine gute Geschichte: Ein Mann opfert sein Leben für alle anderen – auch wenn das vermutlich nicht das Ende seiner Story ist, das er mit Freuden gewählt hätte:

„Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf sein Gesicht und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“

Matthäus 26,39

Ich denke, das zeugt von wahrem Heldenmut. Sich seiner Angst zu stellen und darauf zu vertrauen, dass das eigene Opfer es wert ist, erbracht zu werden. Um auch die Menschen zu retten, die ihn letztlich an das Kreuz nagelten. Ihnen das zu vergeben, im Sterben sagen zu können: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lukas 23,34). Ich bin mir nicht sicher, ob jemand von uns dazu in der Lage wäre… Am Ende wird Jesus dafür belohnt und von den Toten auferweckt, um Gottes Güte zu zeigen. Damit auch diejenigen, die erst noch geboren werden, eine Geschichte hören, in der die Gerechtigkeit siegt. In der das, was Jesus tat, nicht umsonst war. Gewissermaßen ist das das Schwierigste an der Nachfolge: Gut zu den armen Menschen zu sein, ist das Eine. Aber bereit zu sein, auch für die Bösen alles zu geben und ihnen alles zu vergeben, unabhängig davon, was mit uns geschieht, das ist die wahre Herausforderung.

Wofür stehen wir ein?

Also stand auch Jesus von Anfang an zu seinem Wort. Er hatte wahrlich etwas gefunden, das es wert war, sich dafür einzusetzen und dafür großes Leid in Kauf zu nehmen. Wie die andere Held*innen war für ihn am Ende nicht von Bedeutung, was mit ihm geschah, sondern, was mit der Welt geschah.

Vielleicht helfen uns diese Held*innen zu erkennen, dass es nach wie vor noch Dinge gibt, für die sich das Kämpfen lohnt, wir müssen nur über den Tellerrand hinausblicken. Wenn wir nur auf unser eigenes Leben schauen, scheint die Welt vielleicht tatsächlich manchmal langweilig und vorhersehbar zu sein. Doch sie ist längst nicht perfekt. Einige Menschen leiden an jedem einzelnen Tag und das ist kein Zustand, den wir einfach so akzeptieren dürfen. Wenn wir schon nicht um unsertwillen einen Sinn im Leben finden können, sollten wir um ihretwillen dafür sorgen, etwas zu ändern. Korruption, das Nichtanerkennen von Menschenrechten, Hunger… all das klingt ein wenig mittelalterlich, ist aber ganz real.

Wenn wir eine echte Leidenschaft dafür entwickeln, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, dann wird jede*r Einzelne von uns ebenfalls zum*zur Held*in. Wir haben den Luxus, uns dabei unsere „Waffen“ selbst auszusuchen: Ob durch unser Engagement z.B. in sozialen Einrichtungen und Organisationen oder unser Auftreten bei Demonstrationen oder durch unser Wort, mit dem wir den Menschen einen neuen Weg aufzeigen. Wir können die Welt verändern, wir müssen nur damit anfangen. Themen, die das sprichwörtliche Kämpfen wert sind, gibt es da draußen genug.

Aber: Wir müssen auch aufpassen und reflektieren was wir tun. Harvey Dent sagte einmal: „You either die a hero or you live long enough to see yourself become the villain.“ Wir müssen nicht wie Held*innen sterben, gewiss nicht. Aber wir müssen darauf achten, dass wir Held*innen bleiben. Der Zweck heiligt nicht die Mittel, wir dürfen nicht Feuer mit Feuer bekämpfen – wir sollen uns aber auch nicht einfach in die nächste Kugel werfen, die auf Unschuldige abgefeuert wird. Wir sollten dafür sorgen, dass die Waffe gar nicht erst geladen wird. #BLM hat es uns gewissermaßen vorgemacht: Rassismus führt(e) zum Tod von Menschen, daraufhin gingen die Menschen jeden Alters und jeder Hautfarbe friedlich auf die Straßen und schufen ein neues Bewusstsein für das Leben von Minderheiten. Führten uns vor Augen, dass die Welt ihr Potenzial noch nicht ausgeschöpft hat.

Wir sind dieses Potenzial, wir sollten etwas daraus machen!

Photo by Jakayla Toney on Unsplash

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