Spoiler-Alarm!
Dieser Beitrag zum Trimagischen Turnier enthält Spoiler zu der Herr der Ringe von J.R.R. Tolkien.
Was ist das verbindende Element eines Tages, an dem man der Heiligen gedenkt, eines Zauberers, der den Tod besiegt hat und einer griechischen Prinzessin, die durch ihre Schönheit zwei Völker in den Krieg stürzte? Möglicherweise der Tod selbst? Oder eher die Macht eines Gottes oder einer Göttin über selbigen? Mit diesen Fragen im Hinterkopf möchte ich im Folgenden die mir zugeteilten Themen miteinander vereinbaren. Zum einen betrifft dies den christlichen Feiertag „Allerheiligen“ und zum anderen die Figuren „Gandalf“ aus der Herr der Ringe und „Helena“ aus der griechischen Mythologie.
Was wünschen wir Menschen uns mehr als die Macht über den Tod? Es gibt nichts auf der Welt, dessen wir uns so sicher sein können wie, dass wir alle eines Tages sterben werden. Wir mögen nicht die Kraft besitzen, den Tod zu betrügen, doch wir sind dazu in der Lage, den Tod zu bringen. Eine grausame Wahrheit. Wie viele Menschen starben schon durch Menschenhand? Sei es durch Unfälle, durch Kriege oder mutwillig. Wie sehr wünschen wir uns, das ungeschehen zu machen? Dieses Thema bewegt die Menschheit so sehr, dass es schon auf die verschiedensten Arten den Weg in die Literatur und auf den Bildschirm gefunden hat.
Wie nah Leben und Tod, Hass und Vergebung aneinander liegen, musste auch Helena von Troja schmerzvoll lernen. Sie war bekannt für ihre unerreichte Schönheit, weswegen es ihr nicht an Verehrern mangelte. Ihr irdischer Vater (eigentlich war sie die Tochter des Zeus mit Leda, der Frau des spartanischen Königs) nahm aus Angst vor Auseinandersetzungen allen Verehrern das Versprechen ab, Helenas Wahl zu akzeptieren und zu verteidigen. Ihre Wahl fiel auf den Prinzen von Mykene und den späteren Herrscher Spartas, Menelaos. Durch einen Streit unter den Göttinnen Hera, Aphrodite und Athene war dies jedoch nicht das Ende der Geschichte von Helena. Unfreiwillig wurde sie in diesen Konflikt verwickelt. Die drei Göttinnen stritten sich ausgelöst durch den Apfel der Zwietracht darum, welche von ihnen die Schönste sei. Paris, Sohn des trojanischen Königs, sollte die Entscheidung schließlich fällen – er entschied zu Gunsten von Aphrodite, die ihm dafür die Hand der schönsten Frau auf Erden versprach, die Hand der Helena. Da sie jedoch bereits verheiratet war, musste Paris sie entführen, nachdem sie von Aphrodite mit einem Liebeszauber belegt worden war. Damit wurde der trojanische Krieg ausgelöst, in dem die vereinten Griechen sich gegen Troja wandten. Im Verlauf des Krieges fanden nicht nur große Helden wie Hektor, Patroklos und Achilles ihr Ende. Vielleicht ist es noch erwähnenswert, dass Menelaos Helena vergab und wieder aufnahm, nachdem Troja besiegt worden war. Vielleicht ahnte er, dass es nicht Helenas Wille gewesen war, mit Paris zu gehen? Immerhin hatte sie durch Aphrodites Zauber geglaubt, ihn zu lieben. Sie selbst hatte nie darum gebeten, zur Schachfigur der Göttin zu werden… Und doch wurde ihretwegen der bekannteste Krieg der griechischen Mythologie ausgelöst. Aber war es ihre Schuld? Oder eher die der Göttinnen, die in ihrer Willkür über die Schicksale der Menschen bestimmten?
Mittelerde ist ebenalls eine der vielen Welten, wo sich die Frage nach Leben und Tod stellt. So viel Böses ist für noch mehr Leid verantwortlich. Frodo Beutlin, ein Hobbit aus dem Auenland, ist dafür verantwortlich gemacht worden, den einen Ring nach Mordor zu bringen, um ihn im Schicksalsberg zu vernichten. Zu groß ist seine Macht, zu groß die Verführung zum Bösen. Auf seiner Reise wird Frodo schließlich der Spiegel vorgehalten, er erfährt, was geschieht, wenn er dem Bösen nicht widersteht: Er begegnet Gollum, der der Macht des Rings nicht gewachsen war und der Verführung erlag. Aus ihm ist nun ein Monster geworden, er ähnelt kaum noch dem hobbitähnlichen Wesen namens Sméagol, das er einmal war und verlor den Verstand. Er ist dazu verdammt, im Schatten zu leben, lediglich auf der Suche nach dem Ring, den er einst verlor und der nun eben den Weg in Frodos Besitz gefunden hat. Gandalf, der uralte und weise Zauberer, der Frodo und seine Gefährten begleitet, erzählt ihm die Geschichte Gollums. Selbst der sonst friedfertige und gutmütige Frodo kann und will Gollum nun nicht mehr vergeben. Aber hat er deshalb den Tod verdient?
„Viele, die leben, verdienen den Tod, und manche, die sterben, verdienen das Leben. Kannst Du es ihnen geben? Dann sei nicht so schnell mit einem Todesurteil bei der Hand.“
Gandalf zu Frodo über Gollum
Durch gewisse Umstände ist es schließlich Gollum selbst, der Frodo und seinen Gefährten Sam nach Mordor führen will. Leider kann Gollum seinen Wunsch, den Ring zurückzubekommen, jedoch nicht überwinden und verrät Frodo und Sam.
Gandalf führt Frodo vor Augen, welche Macht Leben und Tod haben. Er ist davon überzeugt, dass kein sterbliches Wesen dazu berechtigt ist, diese Macht für sich zu beanspruchen, denn die Ungerechtigkeit des Lebens berechtigt nicht zur Entscheidung über Leben und Tod. Kaum jemand anderes als Gandalf weiß so sehr Bescheid über die Ohnmächtigkeit im Angesicht des Unausweichlichen. Schließlich stirbt Gandalf im Laufe der Ereignisse selbst. Er rettet die Gefährten des Ringträgers als er sich beim Kampf gegen einen Balrog, eine Art Dämon, opfert und in die Minen von Moria stürzt – in dem Wissen, dass dies das Letzte ist, das er tut. Doch sein Tod ist keineswegs endgültig, denn seine Aufgabe, Mittelerde vor der Dunkelheit zu bewahren, hat er noch nicht erfüllt. Eru Illúvatar, der transzendente Schöpfergott in der Welt Tolkiens, schenkt ihm eigens das neue Leben. Gandalf wird darin bestätigt, dass nur dieser Gott allein über Leben und Tod verfügt und keine andere Entität, nicht einmal er selbst als weiser Magier.
Allerheiligen ist im Christentum der Gedenktag aller Heiligen, sowohl der bekannten und heiliggesprochenen, als auch derer, die unbekannt sind, aber ihren Glauben gelebt und verteidigt haben, sowie die frohe Botschaft verkündet haben. Sie alle starben im festen Glauben daran, dass der Tod nicht das Ende ist – und das ist keine Fiktion. Hat sich unser Glaube daran, dass es jemanden gibt, der sich über den Tod hinaus um uns sorgt, nicht in unsere Geschichten geschlichen? Gewiss, in der Ilias waren die Einflüsse der Gottheiten auf die Menschen eher negativ. Steckt dahinter die Sorge, einer Übermacht schutzlos ausgeliefert zu sein? Die christlichen Heiligen aber vertrauten uneingeschränkt auf Gott. In dem Bewusstsein und der Hoffnung, dass Gott derjenige ist, der über Leben und Tod herrscht, stellten sie sich ihm in den Dienst. Nicht wenige starben sogar als Märtyrer*innen für den Glauben an diesen einen Gott. Sie legten ihre Leben in seine Hände.
Es handelt sich bei der Frage nach Leben und Tod also um eine Frage der Macht, einer Macht, die nicht die unsere ist. Und wie bei allem, über das wir keine Macht haben, fürchten wir uns gelegentlich vor den Konsequenzen. Reicht das Gottvertrauen, um mit den Konsequenzen zu leben?