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Existenz bedeutet Chaos

Spoiler-Alarm!

Dieser Beitrag enthält leichte Spoiler zu der Disney+ Serie „Loki“.

Die biblischen Schöpfungserzählungen beschreiben, wie Gott die Erde geschaffen und das Chaos geordnet hat. So wurde die Welt ein Ort für das Leben und die Menschen konnten sie sich unterwerfen. Aber was ist die Moral der Geschichte? Vielleicht, dass das Chaos der Feind des Menschen ist? Dass das Chaos die eine Sache ist, mit der wir nicht umgehen können? Wer weiß? In der Serie „Loki“ andererseits gibt es ein bemerkenswertes Zitat, das das Thema vielleicht aus einem etwas anderen Blickwinkel zu betrachten vermag.

„Existenz bedeutet Chaos. Nichts ergibt Sinn, also versuchen wir, darin einen Sinn zu finden.“

Mobius in „Loki“ S01E02

Existenz (ich identifiziere an dieser Stelle Existenz – also εἶναι „sein“ – mit Leben) und Chaos gehen laut Mobius, einem Beamten der TVA (Time Variance Authority), der sein Leben der Bewahrung des „wahren Zeitstrahls“ widmet, miteinander einher. Diese Aussage finde ich aus zwei Gründen bemerkenswert, denn a) hätte ich einen Spruch wie diesen eher von Loki, dem Gott des Schabernacks höchstpersönlich erwartet und b) jemand der an den wahren Zeitstrahl glaubt, versucht das Chaos, das Multiversum, zu verhindern. Warum sollte Mobius das Chaos dann als Bestandteil – oder sogar als etwas, das darüber hinaus geht, als Essenz vielleicht – des Lebens anerkennen?

Nunja, ich denke, dass die Antwort auf diese Frage in Mobius selbst liegt und in dem, woran er glaubt. Wer darüber mehr erfahren möchte, sollte aber lieber die Serie gucken!

Als Folge dessen sehen wir einmal davon ab, wer es sagt und schauen lieber, was genau gesagt wird. „Existenz bedeutet Chaos“ heißt, dass wir unentwegt mit Chaos konfrontiert werden. Also mit dem, was durcheinander und unverstehbar ist und möglicherweise der Vernunft widerspricht. Ein französischer Philosoph hatte dafür einen anderen Ausdruck im Kopf: das Absurde.

Gemeint ist natürlich der 1960 verstorbene Albert Camus, der sich gerade im Angesicht des nicht rechtfertigbaren Leids, dem absurden Leid, dem Thema annäherte.

„Das Absurde hat nur insofern einen Sinn, als man sich nicht mit ihm abfindet.“

Albert Camus, „Der Mythos des Sisyphos“

Aber weder bei Mobius noch bei Albert Camus endet es mit der Feststellung des Chaos. Beide gehen darüber hinaus und fragen nach der Sinnsuche. Camus versucht das Absurde dadurch aktiv zu überwinden, indem er es annimmt. Das heißt aber nicht, dass das Absurde daher auch akzeptiert werden muss. Nein, Camus ruft zur Revolte auf und möchte, dass der Mensch dem Absurden trotzt und aktiv bleibt in seinem Streben, die Welt zu verbessern – so absurd das auch sein mag.

Wenn Mobius sagt, dass nichts Sinn ergebe und man daher versuche, Sinn zu finden klingt dies in meinen Ohren den Worten Camus‘ sehr ähnlich. Zwar scheint hier die Sinnsuche noch stärker ein Bewältigungsmechanismus zu sein, doch geht es sowohl bei Mobius als auch bei Camus um das Prozedurale. Jeweils das „dem Absurden sinnloserweise trotzen“ (Camus) und das „Sinn suchen, wo keiner zu finden ist“ (Mobius) zielen nicht auf ein konkretes Ziel ab, die Welt ist am Ende deswegen keine Andere. Aber wir schaffen es morgens aufzustehen und weiterzumachen, weil wir eine Aufgabe haben.

Tatsächlich geht Mobius in seinem Zitat sogar noch etwas weiter: „[…] Und ich hatte schlicht das Glück, dass das Chaos, in das ich geboren wurde, mir das hier gegeben hat.“ Gemeint ist dabei seine Aufgabe bei der TVA, die niemals erfüllt sein wird, da jede nicht vorgesehene Handlung jedes Wesens in der Unendlichkeit der Zeit alternative Zeitsträhle auslösen kann. Ich muss sagen, Mobius erinnert mich in diesem Moment an Sisyphos, der in der Mythologie dazu verdammt ist, für alle Ewigkeit einen Stein einen Berg hinaufzurollen. Für Camus ist Sisyphos damit der glücklichste absurde Mensch der „Welt“. Er hat seine Aufgabe. Ich weiß daher nicht, ob es gut oder schlecht für Mobius ist, dass er mit Lokis Hilfe lernt, seinen Glauben zu hinterfragen… Das kann er uns wohl nur selbst beantworten.

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