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Ein Licht leuchten lassen

Spoiler-Alarm!

Dieser Artikel enthält leichte Spoiler zu Harry Potter III: Der Gefangene von Azkaban.

Mit einem markerschütternden Quietschen kommt das stete „Dadamm-dadamm“ des Zuges zum Erliegen. Dort wo eigentlich freudiges oder aufgeregtes Gerede und Gekicher hunderter Kinder zu hören sein müsste, vernimmt man nur angespanntes Getuschel. Ängstliche Blicke schweifen über das Gelände. Die Burg, die eigentlich Zuhause und Schule gleichermaßen ist, wirkt heute anders als sonst. Heute verbirgt der Nebel mehr als Wälder und Magie. Man kann sie fast spüren, die Gespenster, die die schlimmsten Erinnerungen ans Tageslicht zu bringen vermögen. Es ist der 1. September 1993 und ein neues Schuljahr beginnt in Hogwarts und es bringt eine ganz neue Dunkelheit mit sich.

Kaum hat sich die große Halle mit neuen und „alten“ Schüler*innen gefüllt, wendet Albus Dumbledore, der Direktor der Schule für Zauberei, das Wort an seine Schützlinge. Zweifellos hatte die Unterbrechung der Anreise durch die Wächter des Gefängnisses Azkaban den meisten Angst eingejagt – wenn auch niemandem so sehr wie Harry Potter, unserem Protagonisten. Auf der Suche nach einem entkommenen Gefangenen, der es scheinbar auf Harry abgesehen hatte, wurden sie damit beauftragt, die Schule zu „beschützen“. Doch ihre bloße Gegenwart allein genügt, um Freude und Hoffnung im Keim ersticken zu lassen. In seiner Ansprache sagt Dumbledore daher etwas, das daran erinnern soll, dass das Schlechte das Gute nicht auszuschließen vermag:

„Aber glaubt mir, dass man Glück und Zuversicht selbst in Zeiten der Dunkelheit zu finden vermag. Man darf bloß nicht vergessen ein Licht leuchten zu lassen.“

Albus Dumbledore

Seine Worte werden natürlich auf äußerst magische Weise unterstrichen, indem Dumbledore in diesem Moment Kerzen erstrahlen lässt. Doch die Metaphorik von Licht und Dunkelheit ist in diesem Film auch nicht nur bildlich zu verstehen. Das Licht des Zaubers „Expecto Patronum“ ist letztlich auch das Einzige, das die Dementoren, die in der Dunkelheit lauern, zu vertreiben vermag.

Dieses Spiel mit dem Kontrast ist faszinierend. Die Dunkelheit gehört zu unseren Urängsten, die in lange vergangenen Zeiten das Überleben der Menschen gewährleisten sollten. Dunkelheit bedeutete potenzielle Gefahr. Wir suchten daher das Licht, um sehen zu können und die unseren zu beschützen. Das Licht suchen wir heute noch – sowohl metaphorisch als auch wörtlich. In Zeiten der Hoffnungslosigkeit und Angst, ich nenne es mal „Dunkelheit im Geiste“, brauchen wir etwas, das uns Licht spendet. Etwas, das uns ins Gedächtnis ruft, dass das Leben nicht nur trostlos und monoton ist. Es gibt nicht nur Verzweiflung, Schmerz und Traurigkeit, sondern auch Hoffnung, Glück und Freude. Es gibt eben nicht nur Dunkelheit.

Nur um es kurz anzumerken: Harry Potter ist nicht die einzige Fantasy- oder Sci-Fi-Welt, die sich das Sinnbild von Licht und Dunkelheit (bzw. hell und dunkel) zu Nutze macht und oft auch synonym zu Leben und Tod oder gut und böse verwendet. Ebenfalls dazu gehören Star Wars (die helle und die dunkle Seite der Macht), Shadow and Bone (die Sonnenbeschwörerin und der Schattenbeschwörer), the Wheel of Time (Schatten und Licht) und sogar der König der Löwen (Das geweihte Land und das, was im Schatten liegt) und der Herr der Ringe (Gandalf der Weiße, Galadriels Phiole/das Licht von Earendils Stern, etc. und finsterer als in Mordor wird es nicht werden). Aber auch das ist nur eine kleine Auswahl!

Es ist daher auch nicht weiter überraschend, dass diese Dichotomie schon in den ältesten menschlichen Erzählungen auftaucht und – wie könnte es anders sein – dazu gehört auch die Bibel. Ich möchte exemplarisch drei Stellen aufzeigen:

1 Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. 2 Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. 3 Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. 4 Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. 5 Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag.

Gen 1,1-5

Wir müssen also nicht lange suchen, um die erste Erwähnung von Licht und Dunkelheit zu finden. Die Schöpfung ist durchzogen von Kontrasten, von Lebensfeindlichkeit und dem Ermöglichen von Leben. Der Urzustand ist somit für den Menschen der schlimmst mögliche Ausgangspunkt: Chaos und Finsternis. Das Licht ist somit der erste und vielleicht bedeutendste Schritt, der den Weg ebnet. Vielleicht ist hierin auch der Ursprung der Verwendung der Symbolik in allen anderen Geschichten zu sehen. Gen 1,1-5 wäre dann sozusagen die prototypische Erwähnung, die den Begriffen ihre einschlägige Bedeutung verleiht.

Mit Licht füllt er beide Hände, / bietet sie auf gegen den, der angreift.

Hi 36,32

Als zweites Beispiel habe ich das Buch Hiob gewählt, da es voller (mehr oder weniger offensichtlicher) Kontraste steckt, u.a. Gott und Satan, Leben und Tod, Verlust und Gewinn oder eben Licht und Dunkelheit. Auch hier steht das Licht für Leben. Erwähnung findet dies vor allem in den Reden über die Macht und das unbegreifliche Walten Gottes. Das Licht steht außerdem stets in Verbindung zur Weisheit. Doch beliebt ist das Moment im AT nicht nur bei Hiob, sondern auch bei Jeremia, Jesaja, den Psalmen usw. Der rote Faden: Wer Gott auf seiner Seite weiß, bzw. an ihn glaubt, wandelt im Licht. Die Verbindung zur dritten Textstelle ist somit leicht ersichtlich:

Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt.

Joh 12,46

Der inkarnierte Jesus Christus ist das Licht selbst. Zwar bei Johannes besonders präsent, findet die Begrifflichkeit auch Einzug in anderen Evangelien. Dort können auch die Menschen Träger*innen des Lichts werden und die Botschaft verbreiten. Also: Licht und Dunkelheit durchziehen die biblischen Erzählungen geradezu.

Abschließend kann man daher vielleicht sagen: Dumbledore bezieht sich in seiner Ansprache an die jungen Hexen und Zauberer auf eine der ältesten Metaphern der Welt und er ermahnt uns, nie aufzugeben. Und wenn wir es am wenigsten erwarten und am meisten brauchen, erinnern wir uns selbst an die Worte: „Aber glaubt mir, dass man Glück und Zuversicht selbst in Zeiten der Dunkelheit zu finden vermag.“

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