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Denethor oder Aragorn

Spoiler-Alarm!

Dieser Artikel enthält Spoiler zu Der Herr der Ringe, besonders zum dritten Teil.

Bei einer Tagung, an der ich vor einiger Zeit teilgenommen habe, wurden alle Teilnehmer*innen am Ende aufgefordert ein Bild zu entwerfen, das sie von der Zukunft der Kirche haben. Mir fiel dabei im Rückblick auf die Tagung, deren Titel „Frauenpower und Männermacht. Potentiale und Hindernisse gleichberechtigter Teilhabe in der katholischen Kirche“ und vielen anderen aktuellen Herausforderungen in Kirche und Welt ein Bild ein, welches weniger die Zukunft als viel mehr die aktuelle Situation beschreibt, in der wir uns befinden, wenn die Zukunft, die andere Teilnehmer*innen beschrieben haben, eintreten soll.

Mein Bild läuft auf die Frage hinaus: Sind wir Denethor oder sind wir Aragorn? Diese Frage stellt sich meiner Meinung nach jedem und jeder Einzelnen im Hinblick auf die Situation wie sie im Moment auf viele, mich eingeschlossen, wirkt, bedrohlich und vermeintlich hoffnungslos.

Sind wir Denethor, der Statthalter von Gondor, der es vorzieht, sich hinter den Mauern von Minas Tirith zu verschanzen, angesichts der aussichtslosen Bedrohung die sich ihm und seinem Volk in Form der Heere Saurons entgegenstellt. Er wollte den Ring haben, nicht um ihn zu nutzen, außer im größten Notfall, sondern um ihn außerhalb der Reichweite seines Besitzers zu verwahren, damit er ihm nicht wieder in die Hände fällt. Das Wagnis den Ring nach Mordor zu senden, um ihn zu zerstören, wäre er niemals eingegangen. Viel zu viel Risiko verglichen mit der vermeintlichen Sicherheit der großen Festung der Menschheit. Aus seinem sicheren Turm koordiniert er die Verteidigung und als diese kurz vor dem Zerbrechen steht und auch sein zweiter Sohn dem Tod ausgeliefert scheint, als seine Sicherheit auf die er bis zuletzt gepocht hat also doch in die Brüche geht, verbrennt er sich selbst auf dem Scheiterhaufen.

Denethor steht nie in der ersten Reihe, kämpft nicht an der Seite seiner Soldaten für die Sicherheit seines Volkes, obwohl er Pippin darauf hinweist, dass er immer ein Schwert trägt. Er wagt nichts, er wählt immer die sicherste Variante und lässt lieber alles so wie es immer gewesen ist, da es bis jetzt auch immer so funktioniert hat.

Aragorn ist das genaue Gegenteil von Denethor. Zwar ist er als rechtmäßiger König von Gondor ebenso ein Herrscher wie Denethor, doch steht Aragorn immer in der ersten Reihe. Er kämpft für sein Volk und lässt nicht andere für ihn kämpfen.

Doch wichtiger als dies ist für mein Bild, dass Aragorn ein Wagnis eingeht. Er setzt sein Leben aufs Spiel, weil er eine kleine Chance sieht. Auch er könnte sich in Sicherheit begeben, könnte die Verteidigung von Gondor neu koordinieren. Er würde das Ende der Menschheit so wahrscheinlich nicht aufhalten können, aber er würde sich und seinem Volk noch einige Zeit in Sicherheit erkaufen. Stattdessen lässt er jede Sicherheit fahren und zieht hinaus nach Mordor, wo er dem Feind wehrlos ausgeliefert ist. Er tut dies nicht aus Leichtsinn, sondern weil er einen kleinen Funken Hoffnung hat. Er hofft, dass Frodo es schafft den Einen Ring zu vernichten und die Macht Saurons so zu brechen. Er weiß nicht, ob Frodo nicht vielleicht längst tot ist, ob der Ring nicht schon lange wieder in den Händen des Feindes ist. Und trotzdem riskiert Aragorn es, weil er Hoffnung hat und weil er alles tun will um sein Volk und alle freien Wesen Mittelerdes zu schützen.

Sind wir Denethor, verzweifeln angesichts der scheinbar aussichtslosen Situation und setzen lieber alles auf die Sicherheit, die wir im Moment noch haben, oder sind wir Aragorn, hoffen auf eine bessere Zukunft und wagen etwas um zu dieser beizutragen?

Im Folgenden habe ich noch einige Zitate aus Der Herr der Ringe zusammengestellt, die das oben Beschriebene ein bisschen illustrieren und noch viele Aspekte enthalten, die ich nicht genannt habe und zu deren Entdeckung ich einladen möchte:

Ich kenne dich doch! Immer spielst du den Edlen, Großmütigen, gnädig und gütig wie ein König in alten Zeiten. Das macht doch wohl gut bei einem von hoher Geburt, wenn er an der Macht ist und Frieden hat. Aber in der Stunde der Not wird Edelmut leicht mit dem Leben bezahlt.

Denethor zu Faramir, Der Herr der Ringe, Dritter Teil, Fünftes Buch, Viertes Kapitel: Die Belagerung von Gondor

Keines von beidem. Aber ganz gewiss hätte er unter keinen Umständen dieses Ding bei einem Unternehmen aufs Spiel gesetzt, auf dessen Gelingen nur ein Narr hoffen kann, mit der Gefahr, das wir alle ins Verderben gestürzt werden, wenn der Feind das Verlorene zurückgewinnt. Nein, es hätte verwahrt werden müssen, verborgen an tiefen, dunklen Orten. Nicht gebraucht, wohlgemerkt, es sei denn in der äußersten Not, aber außer Reichweite seines Zugriffs, solange er keinen so endgültigen Sieg erränge, dass alles Weitere uns nicht mehr kümmern müsste, weil wir dann tot sind.

Denethor zu Gandalf über seine Pläne für den Einen Ring, Der Herr der Ringe, Dritter Teil, Fünftes Buch, Viertes Kapitel: Die Belagerung von Gondor

Alles Was-wäre-wenn ist müßig. Das Ding ist nun im Dunklen Land, und erst die Zeit wird lehren, welches Schicksal es erwartet und uns erwartet. Lang wird die Zeit nicht sein. In der, die uns noch bleibt, sollten alle einig sein, die auf ihre Weise den Feind bekämpfen, und die Hoffnung bewahren, solange es geht, oder, wenn es nicht mehr geht, den Mut, in Freiheit zu sterben.

Denethor am Ende seines Streits mit Gandalf über den Einen Ring, Der Herr der Ringe, Dritter Teil, Fünftes Buch, Viertes Kapitel: Die Belagerung von Gondor

Nein, der noch nicht, Herr Peregrin! Der kommt erst, wenn alles entschieden ist, um seinen Triumph über mich auszukosten. Für sich kämpfen lässt er andere. So machen’s alle Großen, wenn sie gescheit sind, Herr Halbling. Warum säße ich sonst hier in meinem Turm und grüble, beobachte, warte ab und lasse sogar meine Söhne sich aufreiben?

Denethor, Der Herr der Ringe, Dritter Teil, Fünftes Buch, Viertes Kapitel: Die Belagerung von Gondor

Meine Herren […] hört, was der Statthalter von Gondor [Denethor] zu mir sagte, ehe er starb: Vielleicht triumphierst du ja noch auf dem Pelenpnor für einen Tag, aber gegen die Macht, die nun heranzieht, gibt es keinen Sieg. Ich will euch nicht wie er nahe legen zu verzweifeln, sondern euch bitten zu erwägen, was an diesen Worten Wahres sein mag. […] Ihr habt nur die Wahl zwischen mehreren Übeln; und am klügsten wäre es, alle eure Festungen möglichst stark zu besetzen und dort den Angriff abzuwarten; denn so würde die Zeit bis zu eurem Ende ein wenig verlängert.

Gandalf, Der Herr der Ringe, Dritter Teil, Fünftes Buch, Neuntes Kapitel: Die letzte Beratung

Ah! Das möcht‘ ich wissen! Aragorn? Seine Zeit bricht an. Er ist von Grund auf stark und standfest, Pippin, mutig, entschlossen, eigenwillig und bereit, viel aufs Spiel zu setzen, wenn es sein muss. Das könnte der Grund sein.

Gandalf, Der Herr der Ringe, Dritter Teil, Fünftes Buch, Viertes Kapitel: Die Belagerung von Gondor

„Wenn das kein Witz ist“, rief er [Imrahil], „der größte in der Geschichte von Gondor: Siebentausend Mann haben wir, kaum so viele, wie sie allein die Vorhut des Heeres von Gondor in den Zeiten seiner Macht hatte, und mit denen rennen wir gegen die Berge und das undurchdringliche Tor zum Schwarzen Land an! Das ist doch, wie wenn ein Kind mit einem Flitzbogen einen gepanzerten Ritter bedroht. Wenn der Dunkle Herrscher so viel weiß, wie du sagst, Mithrandir, wird er dann nicht, statt zu erschrecken, nur grinsen und uns mit dem kleinen Finger zerdrücken, wie eine Fliege, die ihn stechen will?“

„Nein“, sagte Gandalf. „Er wird versuchen, die Fliege zu fangen, und den Stich in Kauf nehmen. Und unter uns Träger von Namen, deren jeder einzelne mehr gilt als tausend gepanzerte Ritter. Nein, er wird nicht grinsen.“

„Und wir auch nicht“, sagte Aragorn. „Wenn es ein Witz ist, dann ein zu bitterer, als dass wir drüber lachen könnten. Nein, es ist eher wie der letzte Zug in einer großen Schachpartie, und für eine von beiden Seiten bringt er die Niederlage.“

Das Ende der Beratung, Dritter Teil, Fünftes Buch, Neuntes Kapitel: Die letzte Beratung

„Wir haben den Ring nicht. Kluger- oder törichterweise wurde er fortgeschickt, um ihn vernichten zu lassen, damit er nicht uns vernichtet. Ohne ihn, durch Kriegsmacht allein, können wir Sauron nicht überwinden. Aber wir müssen um jeden Preis sein Auge von da ablegen, wo ihm die echte Gefahr droht. Den Sieg können wir nicht mit Waffen erringen, aber mit Waffen können wir dem Ringträger die einzige, wenn auch noch so geringe Chance sichern. Wie Aragorn begonnen hat, so müssen wir fortfahren. Wir müssen Sauron herausfordern, den höchsten Einsatz wagen. […] Wir müssen uns selbst als Köder anbieten, auf die Gefahr hin, dass er uns verschlingt. […] In diese Falle müssen wir sehenden Auges hineinlaufen, guten Mutes, trotz schlechter Aussichten für uns selbst. […]“ Eine Weile schwiegen sie still. Dann sagte Aragorn: „Wie ich begonnen habe, so will ich fortfahren. Wir kommen nun auf den schmalen Grat, wo Hoffnung und Verzweiflung sich gleich sehen. Wer schwankt fällt. Niemand verwerfe jetzt Gandalfs Rat, dessen langer Kampf gegen Sauron endlich zur Entscheidung kommt. Ohne ihn wäre alles längst verloren. Trotzdem, noch verlange ich von niemandem Gehorsam. Mögen die anderen entscheiden, wie sie wollen.“

Der Herr der Ringe, Dritter Teil, Fünftes Buch, Neuntes Kapitel: Die letzte Beratung

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